High End Matcha zubereitet in einer Strohhütte? Die japanische Teezeremonie im Kontrast von Luxus und naturverbundener Ärmlichkeit

Zur jener Zeit, als die Kultur des Tees von China nach Japan gelangte, bestand eine sehr enge Verbindung zum Gedankengut des Daoismus. Auch das Ideal des japanischen Tee-Einsiedlers, der in einer spontan durch Zusammenbinden der Halme entstandenen Strohhütte [sô-an] seinen Tee zubereitet, entspringt eben diesem Ideengut der Tradition des Daoismus. Dabei wird die Natur als höherstehendes Gut angesehen, im Vergleich zu dem, was durch Menschhand geschaffen wurde. Währenddessen sieht der Zen-Buddhismus, der einen ebenso starken Einfluss auf die japanische Tee-Zeremonie geltend machte, die Buddha-Natur in allen Wesen, also nicht nur in Menschen und Tieren, sondern auch in Pflanzen, Steinen und anderen Gegenständen (vergleiche Franziska Ehmke 1991, S. 115, 116). Mit Buddha-Natur ist dabei vereinfacht ausgedrückt die Vorstellung beschrieben, dass die Erleuchtung potentiell überall innewohnend bereits existent ist.

An einer Tee-Zusammenkunft [Tee-Zeremonie] sind demensprechend die vom Menschen geschaffenen Dinge ebenso beteiligt wie die Natur, und der Mensch selbst. Das Gelingen einer Tee-Zusammenkunft beinhaltet wesentlich die Entfaltung der innerwohnenden, natürlichen Schönheit. Hindernisse am Gelingen einer japanischen Tee-Zeremonie wären etwa, wenn Teemeister oder Gäste hochmütig sind, die Tee-Utensilien wie die Matchaschale [chawan] oder die Teedose für den Matcha [cha-ire] zu prunkvoll, oder der Blumenschmuck überladen wäre. Eine „gekünstelt“ wirkende Tee-Zeremonie würde den Aspekt der Tee-Zeremonie [cha-dô] als Weg [dô], der selbst im Wort „cha-dô“ bereits enthalten ist, unmöglich werden lassen (vergleiche Franziska Ehmke 1991, S. 116).

Das Konzept des Tees in einer Strohhütte greift auch der wohl bekannteste Tee-Meister der japanischen Tee-Zeremonie Rikyû (1522-1591) in seiner roji-sôan-Idee auf, deren Höhepunkt die Idee wohl im „roji-sôan ippû no cha“, also im Chanoyu-Stil von Rikyû der Einsiedlerhütte im Teegarten erreicht. Sie gründet in Rikyûs Kritik und Ablehnung des herkömmlichen Teewegs. Weder sieht Rikyû Tee nur als Medizin an, noch nur als Genussmittel, noch zum Wettvergnügen, wie es in aristokratischen Kreisen einige Zeit lang üblich war. Auch Tee aus Verlangen aristokratischer Repräsentation und zu exotischem Kunstgenuss sowie Tee als Formalismus lehnt Rikyû ebenso ab wie Tee als Kunst oder Luxus. Ebenso billigte er auch nicht Tee mit Tee als Selbstzweck. Die neue wabi-Konzeption von Rikyû basierte zwar auf der Grundlage des vom Teemeister Takeno Jôô geschaffenen Konzepts von wabi als Antithese zum sogenannten shoin-daisu-Tee-Stils, aber verharrte nicht in ihrer Kritik und Negation. Rikyûs wabi-Konzeption ist es, die als kreatives Prinzip erhoben, Urgrund und Wesen des Tees von Rikyû wird, und deren Zielsetzung die ethische und ästhetische Menschenbildung in den Vordergrund stellt. Dies gelang Rikyû konzeptionell indem er seinen Teeweg in den Zen integrierte (nach Horst Siegfried Hennemann 1994, S.262, 263).

Wie die oben beschriebene Abkehr von Luxus und Prunk bereits vermuten lässt, waren eben diese in gewissen Kreisen und zu gewissen Epochen durchaus tief in der japanischen Teekultur verankert. So beschreibt Hennemann (1994, S.42) im Rahmen der Betrachtung der Tee-Schriften des 13. bis 15. Jahrhunderts, in seinem Kapitel über die Teegesellschaften der Kitayama- und der shoin-Kultur der Higashiyama-Ära, den Wandel der Wahrnehmung des Tees als Wundergetränk hin zum Genussmittel bei gesellschaftlichen Veranstaltungen. Zudem entstanden nun auch die an die chinesische Kultur angelehnten Tee-Wettspiele, die auf der Einschätzung der Teesorten beim Verkosten basierten. Die Ästhetik der chinesischen Song-Dynastie spielte dabei eine wesentliche Rolle. Im von Kunstexperten des Shôgun entwickelten shoin-Teestils der Higashiyama-Ära wurde es etwa als vordringliches Anliegen betrachtet, welche räumliche Gestaltung der ritteradligen Wohnkultur [shoin] anzustreben sei. Dabei ging es auch um die Frage, nach welchen Prinzipien das chinesische Ideal der Ästhetik der Song-Dynastie in japanischer aristokratisch-gesellschaftlicher Umgebung zur vollen Entfaltung gebracht werden konnte. Die Rittergesellschaft wurde durch die Nähe zum Hof und die wiedergewonnene Machstellung in ihrem Selbstbewusstsein bestärkt, wofür die entsprechenden Ausdrucksmittel gesucht werden mussten. Tee war ein geeigneten Mittel, sowie die ihn umgebende exotische Atmosphäre, und ebenso das seltene und teure Teegerät wie Matchaschalen [chawan], Feuerstelle, Teedose, so dass die Ritterliche Stellung und deren Nähe zur Aristokratie hervorragend zum Ausdruck gebracht werden konnte. Einen Höhepunkt erreichte diese Kultur des Luxus im Rahmen der tôcha-Teeveranstaltungen, eine Art Tee-Wettspiele, die als Zeitvertreib für die zu Ansehen gelangte neureiche Rittergesellschaft dienten (vergleiche Horst Siegfried Hennemann 1994, S. 43). Im Zusammenhang mit dem Import des Stils der Song-Dynastie, erlangten chinesischen Tee-Utensilien [karamono], die besonders selten und damit teuer waren, eine besondere Position im Rahmen der Teekultur. Für Normalsterbliche waren sie schier unerreichbar, und somit perfekte Kunstgegenstände um die höhere Stellung der Rittergesellschaft und des Adels zum Ausdruck zu bringen. Bis heute und auch über die Grenzen Japans hinaus haben sicherlich die chinesischen Matchaschalen der Song-Dynastie im Temmoku Stil [temmoku chawan] Bekannheit erlangt.

Der Wandel von dieser durch Luxus, Prunk und Darstellungssucht geprägten Tee-Kultur bis hin zum am Beginn dieser Schrift dargestellten Tee-Kultur des Einsiedlers, wird wesentlich geprägt vom sogenannten Dreigestirn der Teelehrer des Chanoyu. Während Murato Jukô als deren Begründer betrachtet wird, so folgt ihm Takeno Jôô, der den Chanoyu in besagter Richtung weiterentwickelte. Zudem tritt Takeno Jôô als Lehrer des Vollenders dieser Entwicklung auf, also als Lehrer von Rikyû (siehe Horst Siegfried Hennmann 1994, S. 87). Takeno Jôô drückt die Richtung, in die er geht, in folgendem Gedicht aus:

Man schaut sich um:
eeder Kirschblüten noch rotgefärbtes Laub
gibt es da
bei der Schilfhütte an der Bucht
in herbstlicher Abenddämmerung

„Ganz im Sinne dieses Gedichtes soll es sein!“ sagte Jôô. „Kirschblüten und buntes Herbstlaub versinnbildlichen die Pracht des shoin-doisu [karamoo-shôgon]. Wenn man lange, eingehend sowohl die Kirschblüten als auch das Herbstlaub geschaut hat und dann die Schilfhütte an der Bucht sieht, eröffnet sich die Welt des Nichts [muichimotsu no kyôkai]. Wer [die Schönheit] der Kirschblüten und des Herbstlaubs nicht kennt, für den ist von vorherein die Schilfhütte ein unbewohnbarer Ort. Wer aber Kirschblüten und Herbstlaub lange genug geschaut hat, schätzt [mitatare] den einsamen Wohnort der Schilfhütte [tomaya no sabisumashitaru tokoro]. Hierin liegt der wahre Geist des Tees [cha no honshin].“

(Zitiert nach Hennemann 1994, S.89)

Nakanishi, dessen Familie, Teegarten und Verarbeitung seit mehreren Hundert Jahren in der ehemaligen Hauptstadt Kyoto zu Hause ist, ist allein vor dem Hintergrund der Örtlichkeit betrachtet, eng verwoben mit der Kultur des Tees, der Teezeremonie und den Teeschulen des Teewegs, sowie der Tradition der dortigen Herstellung von Tee für die Teezeremonie. Denn eben diese Kultur hat wie Nakanishi in Kyoto und der Region um Kyoto ihre japanischen Wurzeln, die wie oben ansatzweise Erwähnung fand, wiederum Ursprüngenin China haben.

Mit der hier thematisierten „Verwobenheit“ von Nakanishi und seiner Umgebung, der Kultur seiner Umgebung, der Tee-Kultur seiner Umgebung, ist nicht geminet, dass Nakanishi sich mit der Herstellung von Matcha beschäftigt, auch wenn dies natürlich der Fall ist. Gemeint ist hier vielmehr, dass Nakanishi und seine Art, wie er Matcha herstellt, mit dem in seiner Umgebung vorhandenen Gedankengut eng verwoben ist. Dazu gehört nicht zuletzt seine Person als Akteur in Kyotos Kultur des Tee, mit Nakanishis unübersehbarem Alleinstellungsmerkmal, das sich einerseits nah an der Natur befindet, doch zugleich mit der Herstellung eines Guts beschäftigt, das auf den ersten Blick durchaus als Luxusgut betrachtet werden kann.

Bei der genaueren Betrachtung des Matcha von Nakanishi, und der Art wie Nakanishi ihn anbaut und verarbeitet, fällt auf, dass für ihn der ökologische Anbau, dem er sich vor mehr als einer Dekade begonnen hat zu widmen, und schrittweise den ganzen Betrieb umstellte, trotz all der damit verbundenen Mühen, zu einer Selbstverständlichkeit geworden ist. Nakanishi gewann mit seinen Matcha- und Tencha-Qualitäten zahlreiche renommierte Preise, auch schon lange bevor er mit der ökologischen Produktion begann. Doch mehr als das Erlangen hochrangiger Preise, das für ihn über die Jahre hinweg fast schon zur Gewohnheit geworden sein dürfte, entwickelte sich in ihm der Wunsch in Einklang mit der Natur, und weiterhin in Handarbeit, seine Tencha- und Matcha-Herstellung weiterzuentwicklen. Die Natur steht hierbei aber vor seinem Tee-kulturellen Hintergrund betrachtet vermutlich nicht einfach für die Natur, wie wir sie im Sinne des biologischen Anbaus verstehen, sondern für die Natur, wie sie in der japanischen Teezeremonie empfunden, als kostbares Gut angesehen wird.

Doch auch die Symbolik der wabi-Ästhetik, die Tee-Zeremonie des Einsiedlers in einer Strohhütte, erkennen wir in der Verarbeitungsphilosophie des Nakanishi, der für seine höchsten Matcha-Qualitäten nicht einmal die feinen Blattrippen maschinell von den weicheren Blattbestandteilen trennt, sondern auf eine spezielle Art vom Bambussieben zurückgreift, die heutzutage nicht mehr hergestellt werden, und in all ihrer Einfachheit und fast schon Ärmlichkeit allein durch ihre Seltenheit gewissenmaßen zu einem Luxusgut herangereift sind. So äußert sich Nakanishi halb ernst, halb scherzend: „Was werde ich nur machen, wenn das letzte meiner Siebe aufgrund des Alters bricht?“

All die im Grunde genommen einfachen Mittel, wie die Pflückung per Hand, oder das Sieben per Hand mit einem Bambussieb, das Mahlen mit der Steinmühle, sie alle kommen ohne komplizierte und teure Technik aus, und doch bringen sie am Ende ein Gut hervor, bei den es sich aus unserer Perspektive betrachtet um ein Luxusgut handelt. Durch den ökologischen Anbau, durch die Ernte per Hand, durch das Sieben per Hand, erst hierdurch entsteht die konkurrenzlose Qualität des Matcha von Nakanishi, die vermutlich noch seltener und wertvoller ist, als die oben erwähnten Tee-Utensilien der Song aus China es im alten Japan waren. Der Kontrast, der Thema dieses Aufsatzes ist, findet sich also auch in den High End Matcha-Qualitäten von Nakanishi wieder, und in deren Zusammenspiel mit der Lebensweise und Philosophie des Betriebes, der ihn hervorbringt.

RYUU – Matcha von Nakanishi im Spiegel des Karamono?

Bei der Matcha-Qualität RYUU von Nakanishi, handelt es sich um eine Art von Matcha, die man üblicherweise auch in Japan nicht in einem Laden erhalten kann. Ganz abgesehen davon, dass alle Matcha-Sorten von Nakanishi nur in extrem kleinen Mengen verfügbar sind, handelt es sich beim RYUU um einen Matcha, dem Nakanishi nicht nur eine besondere Art der Perfektion verliehen hat, sondern ihm einen speziellen Charakter gegeben hat, eine besondere Note, die ihn von anderen sehr hohen Qualitäten abgrenzt. Es ist eine Qualität, die üblicherweise nicht auf den Markt kommt, sondern die nur ein angesehener Tee-Zeremonie-Lehrer erhalten kann, der sich würdig gezeigt hat, den besonderen Charakter des Tees einschätzen zu können.

Sicherlich bleibt die Frage, warum solch ein Tee nun doch im Handel erhältlich ist, und dies, obwohl dieses Jahr (2015) insgesamt nur 14 Stück der 30g-Päckchen des RYUU in der markanten Holzschachtel angeboten werden können. Um es kurz zu sagen: Im "Handel erhältlich" klingt so, als ob es den Tee nun in jedem besseren Teeladen gäbe, doch dies ist natürlich nicht der Fall. Die Anzahl der Orte, an denen der RYUU nun erhältlich ist, beschränkt sich auf wenige ausgewiesene Spezialisten. Dass sich Nakanishi entschieden hat, den Tee ausnahmsweise nicht ausschließlich über den oben genannten traditionellen Weg einem bekannten Tee-Zeremonie-Meister anzubieten, hat sicherlich damit zu tun, dass er selbst den Wunsch, dass derartige Qualitäten nicht nur Meistern in Japan zugänglich sind, sondern dass auch wirklich interessierte Liebhaber in Europa die Chance haben, seinen Tee kennenzulernen. Natürlich ist dies dennoch allein aufgrund der extrem kleinen Menge nur einem sehr kleinen Personenkreis vorbehalten.

Entscheidend für die Qualität des RYUU ist zudem, dass es sich um einen Koicha-Matcha handelt, der nicht für die Zubereitung als Usucha-Matcha gedacht ist. Wer also einen gewohnten Matcha trinken möchten, für den ist der RYUU sicherlich nicht der richtige Tee, sondern eher für Matcha-Kenner, die sich gerne dem Thema Koicha widmen möchten, und einen Koicha mit einer Nuance kennenlernen möchten, die ihm den Rang verleiht, Verwendung bei einer Karamono-Teezeremonie zu finden. Bei der Karamono-Teezeremonie wird nicht nur der Auswahl des Matcha besondere Aufmerksamkeit zu Teil, über das bei der Teezeremonie ohnehin schon übliche, hohe Maß hinaus, sondern auch die verwendeten Tee-Utensilien stammen aus edelsten Quellen, und sind sonst oftmals eher in Museen oder Ausstellungen zu finden, als dass sie regelmäßig bei einer Teezeremonie Gebrauch fänden. Allein die Cha-ire, die Tee-Dose für den Matcha, ist bei der Karamono-Teezeremonie üblicherweise nicht wie sonst aus Holz, sondern aus Ton, von einem bekannten Keramik-Meister angefertigt.